Stellungnahme der Fachschaftenvollversammlung zur Namensgebung der Universität Tübingen
Die Fachschaftenvollversammlung möge folgende Stellungnahme beschließen und auf den üblichen Kanälen veröffentlichen:
Die Fachschaften unterstützen das Bestreben, dass die Universität fortan nur noch den Namen "Universität Tübingen" führen soll. Die Ehrung von Eberhard im Bart und Karl Eugen ist nicht mit der Leitlinie unserer progressiven und weltoffenen Universität vereinbar.
Die Fachschaften sprechen sich hierbei explizit nicht für eine Neubenennung nach einer anderen Person aus.
Schon seit den 1970er-Jahren wurde immer wieder Kritik an dem historischen Namen der Eberhard Karls Universität Tübingen geäußert. Seit Mitte letzten Jahres befasst sich der Senat der Universität näher mit der Thematik und gab in diesem Zuge ein Gutachten zur historischen Dimension des Namens und der Namensführung in Auftrag, das inzwischen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde (
https://uni-tuebingen.de/universitaet/profil/geschichte-der-universitaet/name-der-universitaet/). Der Senat führt nun in mehreren Sitzungen eine Debatte zum Namen der Universität und wird voraussichtlich noch im Sommersemester 2022 darüber entscheiden, inwiefern "Eberhard Karls" als Teil des Namens der Universität abgelegt oder weiter geführt werden soll. Die Fachschaften sehen viele gute Gründe, bei dieser Entscheidung für die Umbenennung zu stimmen, die im Folgenden dargelegt werden:
Ehrungen wie die Benennung von Institutionen nach wichtigen Persönlichkeiten sind einerseits Würdigung ihrer individuellen Leistungen, andererseits sollen mit der Ehrung aber auch Vorbilder geschaffen werden, die zum Nachahmen anregen. Damit beziehen sie sich einerseits auf vergangene Leistungen, haben aber gleichzeitig auch einen starken Zukunftsbezug, da andere Personen durch die Ehrung aufgefordert werden, es den Geehrten gleichzutun. Ehrungen versuchen, bestimmte Normen zu fördern sowie Sinn zu stiften und sind ein Ort, an dem Gesellschaftsordnungen verhandelt werden. Ehrungen sind daher keine eigenmächtige Kraft, sondern ein aktiv vorgebrachter Identitätsentwurf. Es ist wichtig und natürlich, dass innerhalb von pluralen und offenen Gesellschaften Konflikte um bereits bestehende Ehrungen geführt und diese neu verhandelt werden.
Dabei ist zu beachten, dass die Benennung der Universität Tübingen nicht schon immer als Ehrung verstanden wurde. Mit der Zeit hat sich das aber geändert: Namen werden heute als Ehrungen gelesen. Daher muss die Debatte auch aus einer modernen Perspektive geführt werden.
Um zu beurteilen, inwiefern eine Ehrung auch heute noch einen tragfähigen Identitätsentwurf für ein Kollektiv darstellt, muss selbstverständlich auch die historische Dimension der geehrten Personen betrachtet werden. Einen ersten Ansatz dafür bietet das Gutachten der Kommission.
Das vorgelegte Gutachten untersucht die beiden Namensgeber der Universität auf die vorgebrachten Vorwürfe des Antijudaismus sowie des tyrannischen Absolutismus und stellt ihrem Handeln in dieser Hinsicht dabei ihre Leistungen und Verdienste um die Universität Tübingen entgegen. Diese Verdienste allerdings wiegen die unserer Ansicht nach gerechtfertige Kritik nicht auf und rechtfertigen keine Beibehaltung der Namensgeber im 21. Jahrhundert.
Am eklatantesten zeigt sich dies an der Person Herzog Eberhards I. im Bart. Seine persönliche Einstellung gegenüber jüdischen Menschen bleibt und lässt sich anhand der Quellenlage auch nur indizienhaft rekonstruieren. Sein als Monarch stets politisches jüd*innenfeindliches Handeln spricht jedoch eine eindeutige Sprache. Dass er damit ein ausgesprochen durchschnittlicher Vertreter seiner Epoche gewesen und auch nicht durch im zeitgenössischen Vergleich übermäßiges jüd*innenfeindliches Handeln aufgefallen sei, relativiert dieses Handeln in keiner Weise, sondern verdeutlich umso mehr, dass er als Repräsentant eines veralteten, menschenfeindlichen Zeitgeists im 21. Jahrhundert nicht mehr zum Namensgeber einer Institution taugt, die den Anspruch hat, eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einzunehmen.
In der Würdigung von Eberhards Lebenswerk darf ihm nicht bei der Universitätsgründung ein hohes Maß an Eigenleistung zugestanden werden, wenn zugleich seine antijüdische Politik auf Einflüsse aus seinem Beraterumfeld reduziert wird. Als Herrscher und Politiker müssen wir ihn in seiner Gesamtheit ernst nehmen und dazu gehört, anzuerkennen, dass er Veranwortung für die Ausweisung der Jüd*innen aus Tübingen und Württemberg trägt.
Das Gutachten der Historiker*innenkommission stellt fest, dass "die testamentarische Bestimmung Graf Eberhards eine weitreichende Bedeutung für die von heftiger Judenfeindschaft geprägte Politik Württembergs seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert" hatte. Die Geschichte Eberhards und seines Wirkens endet nicht mit 1496, sondern geht weit darüber hinaus. Gerade in Tübingen lässt sich eine traditionell außerordentliche Jüd*innenfeindlichkeit bis weit ins 20. Jahrhundert feststellen. Erst Leopold Hirsch gelang es 1850, also fast 400 Jahre nach der Universitätsgründung, als erster Jude wieder in Tübingen wohnen zu dürfen. Professor Ernst Lehmann verkündete 1935 stolz, jüdische Professoren habe man in Tübingen "stets von sich fern zu halten gewusst." Für den größten Teil ihrer Geschichte war die Universität Tübingen ein jüd*innenfeindlicher Ort. Für viele jüdische Universitätsangehörige ist es vor diesem Hintergrund heute nur schwer erträglich, an einer Institution zu arbeiten bzw. zu studieren, deren Gründung untrennbar mit jüd*innenfeindlicher Politik verknüpft ist.
Nebst der geradezu überwältigenden Debatte um Eberhard scheint Herzog Karl Eugen nahezu unterzugehen. Ist sein Verdienst um die Universität ungleich geringer als ihre Gründung, so scheint das ihm zur Last Gelegte ebenfalls weniger gravierend. Der Hauptvorwurf, dessen gerechtfertigter Ausräumung das Gutachten auch einigen Platz zugesteht, war eher der bisher angenommene Schaden der Universität durch die Gründung der Hohen Karlsschule als sein sonstiges politisches Handeln.
Bisher nicht im Fokus des Diskurses steht dagegen sein Menschenhandel. Durch Subsidienverträge unterstützten viele absolutistische Herrscher des 18. Jahrhunderts beispielsweise Verbündete mit Soldaten, die für eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt wurden. Neu bei Karl Eugens Soldatenhandel, der historisch am Ende dieser Praxis steht, war, dass er nicht von Landesinteressen getrieben war, sondern allein von finanziellen. Mit dem "Kapregiment" verkaufte er ab 1781 3200 Soldaten an die niederländische Ostindienkompanie, die mit ihnen koloniale Unternehmungen umsetzte. Nur 100-200 der vorwiegend armen Soldaten kehrten nach Württemberg zurück, insgesamt starben 72%. Kritisiert wurde diese Praxis zeitgenössisch u. a. von Friedrich Schiller und Christian Friedrich Schubart, der dafür sowie für Schmähkritik an Karl Eugen und dessen Mätresse Franziska von Hohenheim 10 Jahre in Festungshaft einer Umerziehung unterzogen wurde. Erst durch preußische Einmischung und nach etlichen Protesten deutscher Intellektueller kam er wieder frei.
Karl Eugen repräsentiert einen auf die Spitze getriebenen Absolutismus, der die Staatskasse mit dem Verkauf von Menschen aufbesserte und Kritiker*innen einsperren ließ. Diese Werte stehen der Universität als Ort gesellschaftlichen Fortschritts und des freien Meinungsaustauschs entgegen.
Die Sorge, eine kritische Erinnerungskultur an unserer Universität könne nur unter dem bisherigen Namen stattfinden und er daher zu erhalten sei, halten die Fachschaften für nicht plausibel. Dass eine breit organisierte Auseinandersetzung in der universitären Gemeinschaft bisher ausblieb, zeigt, dass der Name allein nicht reicht, um sie anzustoßen. Vielmehr wurde und wird die Geschichte der Universität inklusive der Namensgenese äußerst stiefmütterlich behandelt - ein Zeichen dafür ist, dass bis heute den meisten Universitätsangehörigen nicht klar ist, nach welchen beiden Personen die Universität benannt ist, geschweige denn aus welchen Gründen. Und das keineswegs selbst verschuldet: Wer sich für die Geschichte der Universität ernsthaft interessiert, muss sehr lange aktiv nach Informationen suchen - die Universität zeigt bisher kein großes Interesse an Aufklärung. Erst jetzt, im angestoßenen Prozess, wird endlich in einer breiteren Öffentlichkeit über das Thema gesprochen. Die Fachschaften wünschen sich eine offene Universität, die aktiv und engagiert über Erinnerungskultur diskutiert - und diese Offenheit auch im Namen trägt.
Eine Universität im 21. Jahrhundert sollte sich nicht davon abhängig machen, was Monarchen vor Jahrhunderten für sie entschieden haben. Es ist die Aufgabe einer demokratischen Universitätsgemeinschaft, kritisch über existierende Ehrungen zu reflektieren und sie zu würdigen, aber auch in ihrem Sinne anzupassen. Mit einer Streichung von Eberhard und Karl hin zu der "Universität Tübingen" kann unsere Universität im Jahr 2022 signalisieren, dass sie diesen demokratischen Auftrag ernst nimmt.